Unlesbare Schriftzeichen
Zeichen aus dem Unbewussten
Es gibt in Europa etwa 225 indigene Sprachen – trotzdem sind dies nur rund drei Prozent aller Sprachen weltweit. In den afrikanischen Staaten südlich der Sahara werden zwischen 1200 und 2000 Sprachen gesprochen. Auf dem asiatischen Kontinent werden über 2.000 verschiedene Sprachen gesprochen. Es bestehen weltweit 294 Schriftsysteme für die geschriebenen und gesprochenen Sprachen. Sprache und Schrift sind wesentliche Elemente menschlicher Kommunikation, ja mehr noch, es sind die Kerne der Begriffsbildung. Dazu müssen Schriftsystem und Sprache den Bewohnern des betreffenden Gebiets verständlich sein. Mein Schriftsystem ist nicht zu entziffern, und wir wissen nicht, in welcher Sprache es verfasst wurde, wie es zum Beispiel auch für das Voynich-Manuskript gilt. Dies Buch eines unbekannten mittelalterlichen Mönchs versuchten Generationen von Wissenschaftlern vergeblich zu entschlüsseln. Das Voynich-Manuskript gibt sich den Anschein eines naturkundlichen Lehrbuchs mit vielen Zeichnungen und um diese herum angeordneten Zeilen mit wiederkehrenden Zeichen. Es handelt sich augenscheinlich um einen Streich des unbekannten Schriftkundigen. Vielleicht kann man es als Vorform der Konzeptkunst deuten. Mein Schriftsystem ist unbekannt und die zugrunde liegende Sprache kommt aus dem Unbewussten. Meine Intuitionen leiten die Geste des Schreibens. Die Ornamente und Arabesken, mit denen ich arbeite, sind schriftähnlich. Man kann sie in den Zusammenhang der Weltschriften stellen. Man hat den Eindruck, dass ich diese gestisch zitiere, und mich somit im Kontext der Weltschriften, der Weltsprachen und der weltweiten Schriftsysteme bewege. Doch das scheint nur so, ist bereits Teil der Deutung. Mein Schriftsystem hat eine ästhetische Funktion. Ob es auch kommunikative Zwecke erfüllt? Mag sein, wenn die Betrachter sich davon angesprochen fühlen. Aber in diesem Fall kann jeder seinen eigenen Text darin finden.
„Das Zusammenspiel von Material und Form entdecke ich bei Florian P. Fischer auch erst bei der Annäherung. Erwecken die Arbeiten aus der Ferne den Eindruck plakativer Ornamentik oder Schrift, die perspektivisch erscheint, wird die vermeintliche Schrift bei der Annäherung unlesbar, nicht zu dechiffrieren. Noch nicht mal die kulturelle Herkunft ist eindeutig. Es ist vergeblich. Obwohl Zeichen aus der Ferne ordentlich und linear wirken, als ob sie der abendländischen Schreibrichtung zu folgen scheinen, von links nach rechts, oder einer asiatischen von oben nach unten, bleiben sie aus der Nähe betrachtet ohne Information, abstrakt. Die aus der Ferne entdeckte, vermeintlich Perspektive entsteht durch Unschärfen, doch nah entdecke ich Konkretionen des collagierten Malgrunds: Filmplakate, Schriften, Stadtpläne, Werbematerial der documenta 15. Und ich entdecke die verschlierende, schrundige Materialität der Ölfarbstifte, denen der mit Lösungsmittel benetzen Untergrund im Mal- oder Schreibprozess Widerstand entgegensetzt, so dass Florian P. Fischer die Ölmalstifte „wie einen Pflug durch die Farbe stemmen muss“. Und damit ist er nahe an den Anfängen der Schrift. Schriftzeichen sind Spuren (τύποι) von Erinnerungen und Denken. Schrift ist widerständig, schon im körperlichen Vollzug, zuerst wurde noch eingeritzt in Ton und Stein, das griechische Verb γράφειν verweist noch auf dieses Eindrücken von Zeichen. Und im übertragenen Sinn ist Schrift widerständig, weil ohne Schrift wohl keine Revolution möglich war, allerdings auch keine Propaganda.“ (Prof. Wilfried Köpke)
Die positiven und negativen schwarzen Buchstaben einiger Bilder stammen von einem Besuch bei einem Laden für Designbedarf in Nagoya 1989, wo ich sechs Monate lang für die Ausstellung “Designed in Germany” arbeitete. 33 Jahre lang lagen die Buchstaben in meiner Schublade. Ironischerweise hatte ich kein Verlangen, japanische Kanji oder Hiragana/Katakana Buchstaben zu erwerben.
Die collagierten Fotos stammen weitgehend aus der Zeitschrift magnum – die Zeitschrift für das moderne Leben (1954–1966), eine der wichtigsten deutschsprachigen Kulturzeitschriften der Nachkriegszeit, sowie aus camera – die bedeutendste Zeitschrift zeitgenössischer Photographie im deutschsprachigen Raum (1921 – 1981).