Unreadable Signs
Prof. Wilfried Köpke
Das Zusammenspiel von Material und Form entdecke ich bei Florian P. Fischer erst bei der Annäherung. Erwecken die Arbeiten aus der Ferne den Eindruck plakativer Ornamentik oder Schrift, die perspektivisch erscheint, wird die vermeintliche Schrift bei der Annäherung unlesbar, nicht zu dechiffrieren. Noch nicht mal die kulturelle Herkunft ist eindeutig. Es ist vergeblich. Obwohl Zeichen aus der Ferne ordentlich und linear wirken, als ob sie der abendländischen Schreibrichtung zu folgen scheinen, von links nach rechts, oder einer asiatischen von oben nach unten, bleiben sie aus der Nähe betrachtet ohne Information, abstrakt. Die aus der Ferne entdeckte, vermeintlich Perspektive entsteht durch Unschärfen, doch nah entdecke ich Konkretionen des collagierten Malgrunds: Filmplakate, Schriften, Stadtpläne, Werbematerial der documenta 15. Und ich entdecke die verschlierende, schrundige Materialität der Ölfarbstifte, denen der mit Lösungsmittel benetzen Untergrund im Mal- oder Schreibprozess Widerstand entgegensetzt, so dass Florian P. Fischer die Ölmalstifte „wie einen Pflug durch die Farbe stemmen muss“. Und damit ist er nahe an den Anfängen der Schrift. Schriftzeichen sind Spuren (τύποι) von Erinnerungen und Denken. Schrift ist widerständig, schon im körperlichen Vollzug, zuerst wurde noch eingeritzt in Ton und Stein, das griechische Verb γράφειν verweist noch auf dieses Eindrücken von Zeichen. Und im übertragenen Sinn ist Schrift widerständig, weil ohne Schrift wohl keine Revolution möglich war, allerdings auch keine Propaganda. Je mehr das Motiv im Abstrakten zurücktritt und Form und Material in den Vordergrund, desto mehr gewinnen auch die Künstler:innen an Bedeutung im Rezeptionsprozess. Ihre Arbeitsweisen, ihre Intentionen. Vilém Flusser (1929-1991), Philosoph, hat eine Phänomenologie der Gesten entwickelt als „Ausdrucksweisen einer Intention“. Und, auf den Schultern Flussers stehend, fallen mir zwei Gesten auf: Die Geste des Malens, von Flusser beschrieben als: „Freiheit ist selbstanalytisches Deuten auf die Zukunft. Die Geste des Malens selbst ist eine Form der Freiheit. Der Maler hat keine Freiheit, er ist in ihr, denn er ist in der Geste des Malens. Frei sein ist synonym mit wirklich da sein. (…) Die Bedeutung der Geste des Malens ist das zu malende Gemälde.“ „Schreiben ist nicht nur eine nachdenkliche, nach innen gerichteter Geste, sondern auch eine ausdrückliche, nach außen gewandte (politische) Geste“. Innen und außen, Freiheit und Wirklichkeit. Abstrakte künstlerische Arbeiten sind Baustein der „zentralen Matrix der Moderne“. Auf den ersten Blick drohen in der Abstraktion die ehrwürdigen, sinnstiftenden Gesten des Schreibens und Malens als Gesten zu versagen, weil sie nicht auszudrücken und zu artikulieren scheinen, was sie symbolisch darstellen wollen. Und schnell werden die leere Geste und das Pathos zu Eltern des Kitsches. Nicht so bei Florian P. Fischer. Er verweist die Betrachter:innen zurück auf die Ebenen vor der Schrift, vor das Bild, vor das wiederholende Gestalten von Denken und Erinnern. Auf das Sehen und das Erleben. Und das ist überzeugende, herausfordernde Kunst!I discover the interplay of material and form in Florian P. Fischer’s work only on approach. If, from a distance, the works give the impression of striking ornamentation or writing that appears in perspective, the supposed writing becomes illegible, indecipherable, when approached. Not even the cultural origin is clear. It is futile. Although signs appear neat and linear from a distance, as if they seem to follow the occidental direction of writing, from left to right, or an Asian one from top to bottom, up close they remain without information, abstract. The supposed perspective discovered from a distance is created by blurring, but close up I discover concretions of the collaged painting ground: film posters, writings, city maps, advertising material of documenta 15. And I discover the smearing, chapped materiality of the oil paint pencils, which are resisted by the solvent-wetted ground in the painting or writing process, so that Florian P. Fischer has to “lift the oil paint pencils through the paint like a plow.”
And thus he is close to the beginnings of writing. Writing signs are traces (τύποι) of memories and thinking. Writing is resistant, already in the physical execution, first was still carved into clay and stone, the Greek verb γράφειν still refers to this impression of signs. And in the figurative sense writing is resistant, because without writing probably no revolution was possible, however also no propaganda.
The more the motif recedes in the abstract and form and material come to the fore, the more the artists gain importance in the reception process. Their working methods, their intentions.
Vilém Flusser (1929-1991), philosopher, developed a phenomenology of gestures as “modes of expression of an intention”. And, standing on Flusser’s shoulders, two gestures stand out to me:
The gesture of painting, described by Flusser as, “Freedom is self-analytical interpreting the future. The gesture of painting itself is a form of freedom. The painter has no freedom, he is in it, because he is in the gesture of painting. To be free is synonymous with to be really there. (…) The meaning of the gesture of painting is the painting to be painted.” “Writing is not only a thoughtful, inward gesture, but also an explicit, outward (political) gesture.” Inside and outside, freedom and reality.
Abstract artistic works are building blocks of the “central matrix of modernity”. At first glance, the venerable, meaningful gestures of writing and painting threaten to fail as gestures in abstraction, because they do not seem to express and articulate what they symbolically want to represent. And quickly the empty gesture and the pathos become parents of kitsch. Not so with Florian P. Fischer. He refers the viewer back to the levels before writing, before the image, before the repetitive shaping of thinking and remembering. To seeing and experiencing. And that is convincing, challenging art!